Stephen Gilligan (SG) lädt seit vielen Jahren ins zweiwöchige Trance Camp ein, zum dritten Mal auch im deutschsprachigen Raum von Europa, in Deutschland. In diesen 2x6 Tagen lernen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer (im Folgenden wird nur noch die männliche Form verwendet) die von SG aus der eriksonianischen Hypnotherapie entwickelte Methode der sog. Self Relation (SR) kennen und anwenden. Je nach der Lebenssituation und Zielsetzung der Teilnehmer geht es «nur» um Selbsterfahrung oder dann zusätzlich auch um das Erlernen von therapeutischer Trance.Trance (therapeutisch genutzt) ist nach SG ein geistig hellwacher, körperlich völlig entspannter von fliessender Atmung begleiteter Bewusstseinszustand. Für SG überschneidet sich (westliche) Trance im hypnotherapeutischen Setting in vieler Hinsicht mit dem Bewusstsein in östlicher Meditation; der wesentliche Unterschied ist für SG lediglich der kulturelle Hintergrund. Und «Jede Trance ist ein Experiment mit dem Bewusstsein.» Ich habe die ersten 6 Tage des Trance Camps im Mai 2009 absolviert.
Die SR nützt Trance als kreative Beziehungsgestaltung zwischen unserem bewusstem Geist (Cognitive Self) und dem Unbewussten (Somatic Self). Wenn beide in Harmonie sind, entsteht ein Drittes, ein «Generative Self», welches die dynamische Interaktion beider Intelligenzen bedeutet und darum diese übersteigt. Dieses Generative Self ist wiederum in Resonanz mit dem «Generative Field». Damit ist das gemeint, was uns mit unserer Umwelt und somit unseren Mitmenschen verbindet,das was wir in den speziellen Momenten empfinden, wenn wir sagen, wir seien Teil von etwas Grösserem. Mit generativ ist «Frucht bringen» gemeint. In diesem Zustand werden wir von der Intelligenz des Unbewussten unterstützt, wenn wir etwas tun oder bewältigen wollen, was jenseits der alltäglichen Routine ist, etwas, was mit «darüber Nachdenken», was mit eingeschaltetem «Autopiloten» oft nicht erreicht werden kann. Das Gegenteil vom «AutopilotenBewusstsein» wird unter anderem als Trance, Flow oder «Hookup» bezeichnet. In diesem Zustand gelingt Musikern und Tänzern das Improvisieren mit anderen, den Mannschaftssportlern intuitiv die genialen Spielzüge und den Therapeuten wirksames Zusammensein mit ihren Patienten.
Die SR ist die Umsetzung des von M. Erikson in die psychotherapeutische Welt gebrachten Prinzips der Utilisation. Utilisieren ist eine zutiefst menschliche Fähigkeit, welche im Trance Camp auf vielfältige Art und Weise studiert und entwickelt wird.Zum Prinzip der Utilisation gehört die Potentialhypothese, welche besagt, dass unter der Oberfläche eines Phänomens (eines Problems) und damit mit diesem untrennbar verbunden, vielfältige andere Aspekte, Facetten, Fähigkeiten (Ressourcen) schlummern und verwoben sind. So wie aus einem unscheinbaren Samenkorn unter geeigneten Bedingungen etwas Wunderbares, etwas ganz Neues sich entfalten kann, kann aus einem Problem unter geeigneten Bedingungen ebenfalls etwas ganz Neues,ein neue Frucht,etwas Sinnstiftendes entstehen. Utilisation meint Bedingungen auf psychischer Ebene zu schaffen, wie das ein Gärtner in seinem Garten tut.
Das Training im Camp ist erfreulich klar strukturiert. Jeder halbe Tag hat ein neues Thema, beinhaltet eine Demo und danach die Arbeit in Zweierund Dreiergruppen mit anschliessender Besprechung im Plenum.Im aktuellen Trance Camp waren ganz verschiedene Menschen zusammen gekommen. Von etwas über dreissig Teilnehmern waren viele Psychotherapeuten, nur gerade mal zwei Ärzte, denn Stephen ist gerade in Deutschland vor allem in der NLP-Szene bekannt, von wo er zu Erikson kam. Einige der Teilnehmer waren aber auch die Patienten der anwesenden Therapeuten, ohne jegliche Vorkenntnisse in Hypnose. Neben drei Teilnehmern aus Polen waren zwei aus Österreich, zwei aus den USA und ein Teilnehmer kam aus der Schweiz. In diesem dritten Trance Camp in Germany war die Kurssprache erstmals vorwiegend Englisch, situativ aber exzellent übersetzt. Die unterschiedlichen Englischkenntnisse der Teilnehmer wurden bemerkenswert gut ausbalanciert. Die Kursatmosphäre entwickelte sich aufgrund der echt liebevollen, klaren, enorm geduldigen und vor allem humorvollen Art von SG von Anfang an in einer neugierigen und wohlwollenden Atmosphäre, beim Thema Utilisation und SR nicht erstaunlich.
Auf der Ebene des Geistes, des «Cognitive Self» üben wir die Grundhaltung der «Sponsorship». Dies entspricht der gleichen mentalen Haltung (und Wirkung), welche (ideale) Grosseltern mit bedingungslos ausgebreiteten Armen haben, wenn ihnen die Enkelkinder (das Problem oder/ die Ressourcen) entgegen stürmen.Sponsorship bedeutet ganz wesentlich das Übersteigen eines EntwederOder-Denkens hin zu einem Sowohl-als-auch-undn och-viel- viel-mehr-Bewusstsein. Je grösser die Neugier desto geringer die (Ent-)Wertung des Wahrgenommenen, welches dadurch die Chance erhält, (wieder) zu einem Ganzen zu werden. Und das Ganze ist immer viel mehr als die Summe teilweise abgewerteter Selbstaspekte. Relevant ist im Camp das Training dieses wohlwollende rezeptiven Zugewandtseins. Diese Art der Wahrnehmung ist übrigens weitgehend identisch mit dem Begriff der Achtsamkeit. Ein weiser Gärtner hat Geduld, er zieht nicht an den Grashalmen,damit diese doch endlich im erwünschten Tempo und der erwarteten Richtung spriessen; er vertraut seinem Keimling und auf die richtigen Bedingungen zu dessen Gedeihen. «Sponsorship» bezieht sich natürlich nicht nur auf das Problem des Patienten sondern eben auf diesen als Ganzes.
Nach der Meinung von SG haben nicht wenige Therapeuten eigentlich Angst vor der Pathologie ihrer Patienten. Dies meint, dass es die grosse Herausforderung für uns Therapeuten ist, der Versuchung zu widerstehen, die Pathologie zu behandeln resp. für das Problem eine Lösung zu finden. Stattdessen ist die Herausforderung, die «Pathologie», das «Problem» eben zu utilisieren. Denn das Problem kann – unter geeigneten Bedingungen – zur Lösung mutieren. Die geeignete Bedingung ist, wenn das Problem, der «Inhalt» von einem utilisierende Rahmen gehalten resp. im Generative Field als Kontext geborgen ist.
Neben Sponsorship als Grundhaltung auf der kognitiven Ebene ist in Bezug auf der Ebene des Somatic Self der Zustand des «Zentriert seins» («Centering») hoch relevant. Damit ist der Zustand gemeint des in sich Zuhause Seins, eine körperliche und bewusstseinsmässige Mitte fühlend, ein «Hara-Bewusstsein». Ich hatte vor dem Trance Camp bereits zwei dreitätige Seminare mit SG besucht und Sponsoring seither am Alltag bereits üben können. Aber das im Camp nun trainierte und erlebte «Centering» war ein echtes AhaErlebnis. Zentriert sein als Basis für mentale und auch physische Aktivitäten.Der Aikodo-Meister von SG wurde übrigens gefragt, ob er denn als Meister immer in seiner Mitte sei. Er antwortete nein, manchmal würde auch er seine Mitte verlieren, aber er kehre rascher wieder zurück als früher. «Centering» ist ein dynamischer Zustand, ein kraftvolles Verwurzelt sein. Das gefühlte Zentrum ist für mich eindeutig diejenige Kraftquelle, von der aus das «Standhafte Körpergefühl», wie es in der SMSH von Christine Glauser gelehrt wir, gespiesen wird. Im Zustand des «Centering» kann die Neugier aufrecht erhalten werden, wenn es im Leben und somit auch in einer Therapiesitzung stressig wird. SG lehrt und wir Schüler trainieren, dass im therapeutischen Setting die «first attention» mir selber gilt.Wir neigen nämlich dazu,unsere Aufmerksamkeit zu sehr «um den Patienten und sein Problem herum zu gruppieren». Und dadurch wird der Kontakt zum unserer Mitte geschwächt und kann sogar abbrechen.
Ich muss also zuerst zu mir selber schauen, dass es mir gut geht, dass ich freudig und zuversichtlich bin, unabhängig von «Therapiewetter». Es soll mir möglich sein, ein weites Wahrnehmungsfeld aufrecht zu halten, in dem der Patient resp. sein Problem,sein Symptom,lediglich ein Teil davon ist.«Stell dir deine Patientin vor, wie sie dannzumal aussieht, ihr Gesicht, ihre Körperhaltung, wenn sie (wieder oder erstmals) ihr volles Potential schöpfen kann.» Dies dauert bei mir manchmal zwei bis drei Sitzungen. Dann fallen mir aber Worte ein, die berühren und wirken. Das gilt natürlich für jede Begegnung im Alltag,auch dem Gesicht am Morgen im Spiegel. Ich lerne an der Stimme, sei dies meiner oder der Kursteilnehmer zu erkennen, ob ich oder sie zentriert sind.Ich lerne wahrzunehmen, welche meiner Worte wirklich wirksam sind, sodass jemand näher zu sich und seinem Zentrum kommt. Viele unserer Patienten sind seit Jahren kaum noch zentriert, sie sind nicht wirklich «zu Hause», sondern haben durch Traumata gelernt, dass es «zu Hause» eben nicht sicher ist.
Auch Wissenschaftliches fand breiten Raum, wir sprachen im Kurs darum auch über Bindungstheorie, schamanische Drogenerfahrung, viel über Psychotraumatologie und Projektion und diffundierende Grenzen der Wahrnehmung. Wussten Sie, liebe Leserin, lieber Leser, dass Menschen, welche im dunklen, körperwarmen Samadhitank liegend eine Stimmgabel am Knie spüren, diese Empfindung nach ca. 15 Minuten nach aussen projizieren und meinen es vibrierte etwa ausserhalb von ihnen? Drei Wochen nach der ersten Camp-Woche befand ich mich immer noch in einem ungewöhnlich gut zentrierten Zustand, begleitet von einem befreienden Bewusstsein von Sowohl-als auchund-noch-viel-mehr. Dann habe ich in Basel die medArt besucht um Credit Points zu jagen und bin wieder in der Welt des entweder oder, richtig oder falsch, EBM oder nicht-EBM angekommen. Tägliches Meditationstraining bringt mich aber regelmässig wieder zurück.
Das Unbewusste wird zum Verbündeten Trance ermöglich es, auf den «Rücksitz» Patz zu nehmen und einem weisen «ES» das «Steuer» zu überlassen. Es gibt in uns Menschen auf psychischer Ebene ein weites Kontinuum von einem linear-logischen Bewusstsein übergehend in ein nichtlineares, nicht polares Sein, jenseits der Zeit. Und Sein jenseits von gut oder böse, jenseits von Belohnung und Bestrafung, jenseits von psychischen und sozialen Koordinaten «in the middle of nowhere» wie M. Erikson sagte, meint es bedingungslos gut mit uns, es ist kreativ-chaotisch und garantiert, dass unser Leben auch auf der psychischen Ebene ein unaufhaltsamer Transformationsprozess ist. Die Frage ist, unter welchen Bedingungen können wir unsere Bedingungen an das Leben loslassen, um daran teilzunehmen und uns vom Leben immer wieder von neuem und berühren und beleben und inspirieren zu lasen. Dazu ist therapeutische Trance ideal. Die vertiefte Erfahrung im Trance Camp von einem mich wohlwollend meinenden Selbst jenseits meines Verstandes stimmt mich zuversichtlich für alle Patienten und alle Menschen.Einmal mehr wird klar,Trance ist kein Verlust an Kontrolle sondersondern ein Zuwachs an Kompetenz durch den Gewinn des Unbewussten als Verbündetem.