„The Energy Ball“, Beispiel einer hypnotherapeutischen Intervention, angereichert mit drei archetypischen Energien nach Stephen Gilligan

Die nachfolgend dargestellte hypnotherapeutische Intervention wurde von Steven Gilligan entwickelt und in seinem, mit Robert Dilts geschriebenen Buch „The Hero’s Jorney“ zum ersten Mal ausführlich dargestellt; sie ist auch im in dieser Ausgabe besprochene neusten Buch von Gilligan im Kapitel 6, „opening beyond“ detailliert aufgeführt.

Die Grundlage für diesen Therapieprozess ist die Ericksonianische Annahme der Potentialhypothese resp. das Utilisationsprinzip. Dies bedeutet, dass im „Problem“ ein wertvoller wertfreier Kern enthalten ist, so wie im Kokon der Schmetterling. Und unter geeigneten (Rahmen-)Bedingungen kein Komma kann sich dieses Potential entfalten. Der „Energy Ball“ ist ein gutes Beispiel dafür, wie wir im hypnotherapeutischen Prozess ein Problem nicht eliminieren wollen, sondern es in einen kreativen befruchtenden Kontext einbetten, damit an Stelle von Elimination Transformation geschieht. Eine Metapher dafür ist die Beziehung zwischen Bild und Rahmen, wobei das Bild das Problem darstellt und der Rahmen das das Bild umgebende und haltende Feld, quasi ein Brutkasten. Damit sich eine kreative Dynamik entfaltet, soll das Feld mit Ressourcen, Energien und anderen positiven Elementen angereichert und aufgeladen sein. Dank Trance steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Trance-lose rigide Grenzzone zwischen Kontext und Content durchlässig wird. Trance begünstigt den Transfer von einer Entweder-Oder-Situation in einen Sowohl-Als-Auch-Zustand. Dies widerspiegelt sich unter anderem auch im Phänomen der Trance-Logik. Gunther Schmidt beschreibt diese Beziehung mit dem treffenden Satz in seinem gleichnamigen Buch als „Liebesaffäre zwischen Problem und Lösung“. In unserem Gehirn – so habe ich irgendwo gelesen – sei jedes Neuron über höchstens sieben neuronale Zwischenstationen mit jedem anderen Neuronen in zumindest latentem Kontakt. Dies gilt somit auch für das Problem- und Lösungsmuster, nur, dass sie sich im Alltagsgeist gegenseitig „abschalteten“, entweder „ich“ oder „du“. In der trancevermittelten Liebesaffäre erhalten die beiden neuronalen Muster die Chance, auf synaptischer Basis eine „neuronale Freundschaft“ eingehen zu können, ein „wir“ zu werden, weil sie gleichzeitig „feuern“. Denn gemäss dem kanadischen Physiologen Donald Hebb werden gleichzeitig feuernde Neuronen unweigerlich funktionell miteinander verbunden – der latente Kontakt wird manifest. 1949 publizierte er seine nach ihm benannte Regel, die bekanntlich lautet: „fire together – wire together“. Hebb gilt als der Entdecker der synaptischen Plastizität, welche auch die neurophysiologische Grundlage von Lernen und Gedächtnis darstellt.

Die nun folgenden vier Schritte können individuell modifiziert, gekürzt und erweitert werden, je nach Problemstellung und Ressourcen-Angebot. Der Text ist die Anleitung, wie ein Therapeut sie einer Klientin geben kann; er kann aber auch als Anleitung für Eigentrancearbeit genutzt werden.

Schritt 1: Vorbereitung
  • „Sitzend: Bringen Sie Ihre Aufmerksamkeit ins Hier und Jetzt, zentrieren Sie sich, machen Sie sich’s bequem, kommen Sie zur Ruhe.“
  • Absicht: Ein Problem, ein Ziel, einen Wunsch definieren, der Gegenstand des Transformationsprozesses sein soll. Sie können Ihr Thema zu einem Bild verdinglichen, Sie können es zu einem Wort oder prägnanten Satz verdichten, quasi zu seinem Mantra werden lassen. Zum Beispiel: „Was ich sehnlichst in meinem Leben erreichen möchte ist…“.
  • In einer leichten Trance gezielt Ressourcen einladen, welche im Hinblick auf den anstehenden Transformationsprozess geeignet sein sollen, den Humus für den Transformationsprozess zu bilden. Dies können reale, fiktive Personen, Orte, Lebenserfahrungen, Symbole etc. sein. Nicht selten können hier Ressourcen aus der 3D-Methode nach Philip Zindel genutzt werden.
Schritt 2: Übergang in die Trance, in einen schöpferischen Bewusstseinszustand
  • Schritte zwei bis vier finden im Stehen statt. Als Therapeut stehe und gehe ich neben der Patientin und nehme jeweils die gleiche Körperhaltung ein, allein schon wegen des Pacings: „Nehmen Sie eine entspannte, aufmerksame Haltung ein, werden Sie sich des Bodens unter Ihren Füssen bewusst, verwurzeln Sie sich mit dem Untergrund. Dabei können Sie die Augen schliessen oder offen lassen oder sie zwischendurch wieder aufmachen.“
  • „Verbinden Sie sich mit Ihrem Zentrum. Stimulieren Sie hierzu mit Ihrem Bewusstsein das resonante Gefühl in Ihrem Körper durch das Aktivieren einer positiven Erfahrung, wo Sie sich sehr lebendig und vom Leben positiv berührt gefühlt haben, wo Ihnen das „Herz aufgegangen“ ist.“
  • Alle Bewegungen sind mindestens fünf Mal langsamer als üblich und anmutig. Der andauernde „Slow Trance-Dance“ ist hilfreich, um situativ auftretende Blockaden im Körper und im Geist zu lösen. „Als erstes beginnen Sie mit sanften langsamen Vor- und Zurück-Bewegungen Ihre Hände von Ihrem Zentrum weg nach vorne zu bewegen, wie wenn Sie repetitiv sanft eine Taube zum Flug in die Freiheit verhelfen wollten. Es geht um das sich öffnen gegenüber der Welt. Lassen Sie nach vier oder fünf solchen Bewegungen Ihre Arme angenehm entspannt ausgestreckt. Nun reiben Sie die Handflächen intensiv aneinander, bis die Hände wirklich warm sind (wir kennen das von den „magnetischen Händen“). Trennen Sie nun die Handflächen ganz langsam und um wenig Millimeter bis Zentimeter, so dass jede Handfläche die Wärmeabstrahlung der gegenüberliegenden gut spüren kann. Lassen Sie Ihre Aufmerksamkeit mehr und mehr von diesem Raum zwischen Ihren Händen absorbieren, während sich Ihr Geist mehr und mehr entschleunigt. Nun können Sie die Hände etwas weiter auseinander driften zu lassen.“ Die Idee ist, das Feld dazwischen weiterhin spüren zu können. Wirklich spüren ist deutlich wirkungsvoller, als es lediglich vorzustellen, was aber durchaus auch wirksam ist.
  • „Lassen Sie nun die Energie aus Ihrem Zentrum, der Quelle des Felt Sense für die positive Erfahrung, in Ihrem Körper aufsteigen, durch die Schultern in die Hände und von den Handflächen in den Raum dazwischen abstrahlen. Konzentrieren Sie sich weiterhin sanft in den Raum zwischen ihren Händen, der mehr und mehr zu einem Energieball wird.“
  • Ergänzend kann die Patientin durch ihre Hände in den magischen Raum dazwischen atmen, der Raum zwischen den Händen beginnt zu atmen, beim Einatmen dehnt er sich leicht aus, beim Ausatmen zieht er sich etwas zusammen. „Entwickeln Sie ein Gewahrsein für den Raum zwischen den Händen. Und jetzt – ganz relevant – entwickeln Sie ein Gewahrsein zusätzlich für den weiten Raum darum herum und darüber hinaus, quasi ein Bewusstsein für das uns umgebende unendliche Feld.“ Falls wir in einem Aquarium angefangen hätten, so wären wir jetzt im unendlichen Ozean. Der Energie Ball ist nun Teil der grossen, weiten peripheren Aufmerksamkeit, ein Teil eins grossen, weiten Energie-Feldes. „Versuchen Sie immer wieder Ihre primäre Aufmerksamkeit auf das weite Feld zu richten, der Raum zwischen Ihren Händen ist ein Teil davon“. Dadurch wird die Grenzzone zwischen Rahmen und Bild durchlässig. Die Hände können wie zwei Empfangsantennen für das Unendliche wahrgenommen werden. Energyball Bild 1
  • Auf der mentalen Ebene ist es wichtig, sich immer wieder die Verpflichtung ins Bewusstsein zu heben, den „Ball“ unentwegt am Leben zu erhalten. Um die Konzentration auf den energetischen Raum aufrechterhalten zu können, also im Flow zu bleiben, oder dann immer wieder hineinzutauchen, statt zu dissoziieren und über den Prozess nachzudenken.
Schritt 3: Transformation
  • „Bringen Sie nun ganz sachte das Problem, Ihren Wunsch, ihre Vorstellung eines positiven zukünftigen Selbst in den Raum zwischen Ihre Hände, in Ihr Heiligtum, Ihren externalisierten aber mit Ihnen verbundenen Safe Place. Spüren sie, visualisieren Sie das Symbol im Energieball und versuchen Sie gleichzeitig mit Ihrer Aufmerksamkeit den Raum darum herum zu halten.“
  • „Laden Sie jetzt Ihr kreatives Unbewusstes in den magischen Energieball ein. Werden Sie sich bewusst, dass Sie Energien und Weisheit, Lösungsstrategien und Erfahrungen in sich tragen, welche den alchemistischen Prozess im unsichtbaren Trance-Topf stimulieren. Es gibt nichts zu tun ausser, die Aufmerksamkeit auf den Prozess und darüber hinaus aufrecht zu halten, den Prozess einfach zuzulassen, ohne etwas verändern zu wollen.“
  • Nun können weitere Ressourcen als Katalysatoren eingeladen werden. Gilligan leitet an, hierzu mit dem ganzen Körper gaaaanz laaangsaaam um den Ball herumzugehen; der Ball schwebt in der Mitte eines Kreises, an dessen Peripherie der Rücken ist. Diese physische Umkreiselung symbolisiert, dass etwas Neues hinzukommt; die körperliche Bewegung ermöglicht es, auch auf der geistigen Ebene beweglich zu sein und um Verspannungen zu lösen.
  • Jetzt kommen die drei „archetypischen“ Ressourcen respektive Energien eine nach der anderen hinzu. Es sind dies Zärtlichkeit (tenderness), positive Entschlossenheit (fierceness) und Verspieltheit (playfulness). Es geht um die Balancierung unseres Körper-Geistes durch die Ausgewogenheit von Yin und Yang als polarisierte und gleichzeitig befruchtende Energieprinzipien. Yin steht für die rezeptiven Fähigkeiten, wie Zärtlichkeit, Trösten, Güte und Behutsamkeit. Yang-Fähigkeiten sind positive Entschlossenheit, die Fähigkeiten einen Fokus und Verpflichtungen halten zu können, über einen wirksamen „bullshit detector“ zu verfügen und die Fähigkeit, das Leben ernst zu nehmen. Und Verspieltheit ist eine „Hexenfähigkeit“, welche Wandlung ermöglicht, wie z.B. Gewandtheit und Kreativität. In einem blockierten Geisteszustand fehlt gemäss Gilligan zumindest eine dieser Energien oder bleibt im Dunklen, was gleichbedeutend ist mit rigiden respektive verschlossenen Filtern zwischen bewusstem und unbewusstem Geist.
  • „Laden Sie Zärtlichkeit ein, während Sie sich ganz langsam um den Ball herum im Kreis bewegen. Erinnern Sie sich an eine Situation, wo Sie zärtlich waren oder sind, zum Beispiel beim Anblick ihres neugeborenen Enkels, wenn Sie ihm über die zarten Haupthaare streicheln.
  • Dann fügen Sie Entschlossenheit und
  • später Verspieltheit hinzu. Spüren Sie, nehmen Sie wahr, es gibt nichts zu tun. Lassen Sie es geschehen.“ Die Alchemie kommt oft erst langsam in Gang und geht nicht selten jenseits der Energieballtrance weiter, um im richtigen Zeitpunkt in Bewusstsein manifest zu werden. Energyball Bild 2
  • Eine letzte und genauso langsame vierte Umdrehung ist dazu da, die drei Ressourcen mit dem Inhalt des Balls zu vermischen und zu verschmelzen.
  • Als Therapeut greife ich in diesem sinnlich entschleunigten Prozess die verschiedenen Aspekte immer wieder auf und lenke die Aufmerksamkeit der Patientin dazwischen hin und her, um deren Bezug zueinander zu vertiefen. Die Patientin kann sich dadurch assoziativ-sinnlich auf den Energieball und das ihn umgebende weite Feld konzentrieren. Sie nutzt von den Angeboten das, was für sie am hilfreichsten ist. Das Angebot beinhaltete bisher: das Verwurzeltsein am Boden, das Energiezentrum im Bauch oder Brustkasten, das Zielsymbol zwischen den Händen, das Unbewusste, der Atem, das Feld über die Hände hinaus, Zärtlichkeit, Entschlossenheit und Verspieltheit plus individuelle Ressourcen aus dem bisherigen Therapieprozess, wie die Bodygardtruppe aus schneeweissen Eisbären. Nicht selten ergeben sich averbale aber auch verbale Feedbacks seitens der Patientin, wenn sie irgendwo ansteht und auf aufkommende Emotionen kann sanft Bezug genommen werden.
  • Lassen Sie dann den Patienten gegen Ende des Prozesses explizit einen tiefen Atemzug nehmen, „um auf eine noch tiefere Ebene zugehen“, um den Integrationsprozess zur vollen Blüte bringen zu lassen.
  • „Wenn Sie nun soweit sind lassen Sie Ihre Hände den „Inhalt“ des Energieballs, sei er nun verwandelt oder einfach so wie er ist, aus dem Energieball sorgfältig entnehmen und führen Sie ihn zu Ihrem Zentrum. Dort kann der Therapieprozess sich jenseits der Trance weiterentwickeln, er kann nach seinem Abschluss zur Ruhe kommen und integriert werden.“
Schritt 4: Zurückbringen in den Alltag
  • Blick auf die wichtigen Erkenntnisse im soeben abgeschlossenen Prozess.
  • Damit der in Trance angestossene Prozess gut in den Alltag „hinüber kommt“ und sich dort weiter entwickelt, ist es einerseits sinnvoll, sich erneut zu verpflichten, den Transformationsprozess weiter zu begleiten. Anderseits kann die Patientin „einen Teil Ihres zukünftigen Selbst“ in die Zukunft reisen und auf die Gegenwart zurückzublicken lassen, ev. auch, um etwas zu sagen. Dieser Teil gibt Richtung und Zuversicht, das neue Selbst im Laufe der kommenden Zeit zu verwirklichen. Dieser Schritt kommt einem posthypnotischen Befehl gleich.
  • Es hat sich auch bewährt, Dankbarkeit gegenüber allen Wesen, Elementen und Ressourcen, welche den Prozess unterstützt haben still für sich auszudrücken, auch, damit sie den Prozess auch weiterhin wohlwollend begleiten mögen.
  • Zuletzt Reorientierung im Raum, langsam die Augen öffnen.

PS: Als Variante einer Second Skin kann der Inhalt des Energy Balls mit den Händen über den Körper verteilt werden.

Heini Frick, CH-HYPNOSE, VOL. XXIII, NO 2/2013