Generative Trance, the Experience of Creative Flow, Steven Gilligan
(Crown House Publishing Limited 2012) ISBN 978-184590781-5

Ende 2012 ist dieses neueste Buch von Steven Gilligan erschienen. Er stellt darin seinen ursprünglich als Self Relation bezeichneten und später zur Generative Trance weiter entwickelten hypnotherapeutischen Therapieprozess dar. Generativ meint übrigens Frucht bringende oder befruchtende Trance, also des kreativen Prozesses Resultat. Es ist ein informationsdichtes Arbeitsbuch, auch als inspirierendes Nachschlagewerk nutzbar, dessen Inhalt erarbeitet sein will. Es ist von A bis Z spannend zu lesen und ermöglicht es uns, Vertrautes auf andere Weise zu betrachten und einen tiefen Einblick in neue Dimensionen und Perspektiven der Gilligan'schen Trancearbeit zu erhalten. Ca. ein Drittel des Textes sind wörtliche Therapieskripte. Sie ermöglichen es der Leserin, dem Leser einerseits verschiedeneste Variationen und Fazetten des Vierschritteprogramms der Generativen Trance zu erleben. Anderseits können wir mit am dem poetischen Tanz von Pacing und Leading - getragen vom zutiefst wohlwollend-utilisierenden Geist von Gilligan - in Resonanz gehen.

1997 hat Gilligan diesen, auf dem Utilisationsprinzip von Milton Erickson aufbauenden Ansatz zum ersten Mal publiziert in seinem Buch mit dem Titel the Courage to Love: Principals und Practices of Self-Relations Psychotherapy, auf Deutsch "liebe dich selbst wie deinen Nächsten". 2009 folgte das zusammen mit Robert Dilts publizierte Buch "the Hero's Journey, Voyage of Self-Discovery. Dieses Buch dokumentiert einen mehrtägigen Workshop basierend auf Gilligans Therapieansatz, wobei das Schwergewicht auf die wortwörtliche Darstellung des Therapieprozesses mit verschiedenen Kursteilnehmern beinhaltet. Der theoretische Teil war - im Vergleich zum nun vorliegenden Buch - eher knapp bemessen. Im vorliegenden Buch legt Gilligan in einem ersten Teil in den Kapittel seine theoretischen Grundlage dar, im zweiten vermittelt er ausführlich die die Praxis. Speziell hervorheben möchte ich, dass es bei der GT um eine äquivalente Wertschätzung von bewusstem und unbewusstem Geist geht, entspricht einem hochmodernen Therapieprozess, der gleichzeitig Top down- und Bottom-up-Prozesse berücksichtigt und integriert. Gilligan spricht darum auch von einem "disciplined flow" als Beschreibung des angestrebten Body-Mind-Zustandes.

Bewusstseinswelten

Kapitel 1 beinhaltet das Konzept von Gilligan der drei "Welten" von Bewusstsein: Hier finden wir die Dualität von bewusstem und unbewusstem Geist, von Gilligan als "klassische Welt" und "Quanten-Welt" genannt. Letztere meint einen unendlichen "Raum", der quasi schwanger ist mit unendlich vielen Identitäten, Ideen, Visionen und Erfahrungen. Die dritte "Welt", der dritte Geist ist das "kreative Bewusstsein" oder der "ursprünglichen Geist des reinen Bewusstseins". Dieser "ursprüngliche Geist" entspricht dem, was in der buddhistischen Psychologie als das "wahre Selbst" oder die Leere bezeichnet wird, also ein weiter Raum reinen Bewusstseins, woher alles herkommt und wieder zurückgeht. Gilligan nutzt zur Erklärung seines Geistes- respektive Bewusstseinsmodells unter anderem die Forschungsresultate und das Gedankengut von McGilchrist; wir haben in der letzten Herbstausgabe der CH-Hypnose darüber berichtet. Gemäss McGilchrist erkennen wir mit unserem Geist nicht das Ganze, nicht die Realität, das wahre Selbst, sondern erhalten durch die unterschiedlichen Funktionsweisen der beiden Gehirnhälften zwei verschiedene Versionen davon. Das was wir wahrnehmen ist somit ein subjektives Konstrukt. Und was konstruiert ist, kann - unter geeigneten Bedinungen - potentiell dekonstruiert und neu aufgebaut werden. Unser Geist respektive unsere Psyche hat also ein großes Wandlungspotential. Diese drei "Welten" sind miteinander durch Filter, Wirklichkeitsfilter, verbunden. Kreatives Leben bedeutet für Gilligan, dass diese Filter sich öffnen und die "Welten" ungehindert miteinander kommunizieren können. Wenn wir geistig anstrengen und körperlich angespannt sind - insbesondere im Fight-, Flight- and Freez-Modus - sind diese Filter automatisch verschlossen. GT ist insbesondere dann hilfreich, wenn in Anbetracht sich relevant ändernder Lebensumstände neue psychische Realitäten, neue Fähigkeiten und Sichtweisen im eigentlichen Sinn des Wortes Not wendig sind. Das Ziel der GT ist es darum, im eigenen Leben noch nie da gewesene Umstände utilisieren zu können durch die Generierung noch nie dagewesener Fähigkeiten und Einsichten, ein Shift in der Persönlichkeit bedeutend. Dies gilt nicht nur für Lebenskrisen, sondern für alle Lebensmomente, wo Kreativität gefragt ist, wie in der Kunst oder im Sport etc, wo von Flow gesprochen wird. Flow-Erfahrungen bedeuten ein harmonisches, auf ein Ziel ausgerichtetes Zusammengehen von Körper & Geist. Vertraut ist dies Musikerinen, Künstler, Sportlerinnen und scheint's auch begnadeten Chirurgen. Trance ist nach Gilligan dazu da, "in die Welt zukommen", nicht, um irgendwie "outgespaced" unterwegs zu sein und dann wieder in die "klassische Welt" zurückzukehren. Ein früheres Buch von Gilligan, wo vor allem Schülerinnen und Schüler zu Wort kommen, hat darum den Namen "Walking in Two Worlds". Gemeint ist die "Hexenposition" mit offenen Augen, also derjenige oder diejenige sein, die auf dem magischen "Hag" zwischen den beiden Welten sitzt. Hagzussa meint im althochdeutschen eben die Hexe.

Aspekte der Trance

Das 2. Kapitel widmet sich den verschiedenen Aspekten von Trance. Trance ist die Erfahrung eines kreativen Flusses, in welchem der Einfluss des klassischen Bewusstseins, des "Performance-Mind" - der der dauernd eine Leistung erbringen will - abnimmt und der Einfluss der Quantenwelt, des kreativen Unbewusstes, dafür zunimmt. Trance tritt natürlicherweise ein, wenn unsere Identitäts-Filter entweder unerwartet destabilisieren, z.B. in einer bedrohlichen Situation, oder bewusst im rituellen Rahmen losgelassen werden. Trance mobilisiert die fixen Funktionszustände unserer Wirklichkeitsfilter, so dass neue Identitätsmuster entstehen können. Trance hat viele Formen und Werte, abhängig davon, welche Beziehung wir Menschen dazu haben; darum können Trancen sowohl positiv als auch negativ sein. Diese Sichtweise erlaubt es, Symptome als Formen einer negativen Trance und GT als ihr positiver Kontext zu sehen, welcher zur Transformation von Problemen in Ressourcen und dadurch Entfaltung einer neuen Identität führen kann.

Das generative Selbst

Im Kapitel 3 stellt Gilligan sein dreiteiliges Modell des Generativen Selbst vor. Es besteht aus dem somatischen Geist, den Feld-Geist und den kognitiven Geist mit je drei Bewusstseinsebenen. Einblick in die Praxis dieser drei Aspekte geben uns Kapitel 5, 6 und 7. Die erste Ebene ist die primitive; hier sind wir verbunden mit Ganzheit, aber ohne Selbstgewahrsein. Auf der Ego-Ebene wirkt Selbstgewahrsein, aber getrennt vom Ganzen und auf der generativen, Frucht bringenden Ebene, ist Selbstgewahrsein innerhalb einer differenzierten Ganzheit im Fluss möglich. Generative Trance beinhaltet das Bestreben, unsere, die individuelle Realität kreierenden Filter in den generativen Funktionszustand anzuheben. Auf der generativen Ebene ist Selbstgewahrsein verbunden mit systemischer Ganzheit, was uns eine Transformation unseres Geistes ermöglicht. Neu stellt Gilligan hierzu das Akronym COSMIC-Bewusstsein vor, sechs zentrale Aspekte seiner Trancearbeit: Es handelt sich um Centered (Zentriertheit), Open & Mindful (Offenheit und Achtsamkeit), Subtle awareness (subtiles Gewahrsein), Musikalität, Intentional (positive) (positive Absicht) und Creative engagement. Hervorzuheben ist das "creative Engagement", bestehend aus drei Aspekten. Der erste ist die "kreative Akzeptanz", eine Formulierung, die Gilligans frühere Bezeichnung "Sponsorship" ersetzt und mit Kapitel 7 ein eigenes Kapitel in diesem Buch erhält. Milton Erickson war DER Meister in dieser Disziplin, also im Umgang mit Widerstand, den er durch seine bemerkenswerte Präsenz kreativ utilisierte. Der zweite Aspekt des Creative engagement wird im Kapitel 8 unter dem Titel "das Prinzip der Komplementarität", ein Prozess von "sowohl als auch-Denken" ausführlich dargelegt und geübt. Der dritte Aspekt entspricht Kapitel 9, dem "Prinzip unbeschränkter Möglichkeiten".

Der Therapieprozess

Kapitel 4 beinhaltet den eigentlichen Therapieprozess mit seinen vier Schritten (siehe Schemata). Er hat einiges gemeinsam mit den vier Schritten des SARI-Modells von Phillips und Frederick. Diese vier Schritte kommen in allen nun folgenden Kapiteln in diesem Buch immer wieder vor, aus didaktischen Gründen jeweils aus einem anderen Blickwinkel. Die Vielfalt der Betrachtungsweisen mag im ersten Moment die Einfachheit der GT etwas verschleiern. Gilligan möchte aber den unglaublichen Fazettenreichtum und die hohe Anpassungsfähigkeit seines hypnotherapeutischen Ansatzes umfassend darlegen. Der erste Schritt ist die Vorbereitung. Es geht um Zentrierung, das Erarbeiten eines positiven Ziels und das Auffinden zieldienlicher Ressourcen. Gilligan nützt als Sicherheitsanker Zentriertheit, also der während der ganzen Trance aufrechtzuerhaltende Felt Sense einer positiv gespürten Körpermitte. Dies ankert uns im Hier und Jetzt, schützt vor unkontrolliertem wegdriften und ist ein Ersatz für den Safe Place. Für mich persönlich ist Zentriertheit im Therapieprozess das Schlüsselerlebnis in der GT gewesen. Gilligan widmet dieser Fähigkeit das fünfte Kapitel. Im zweiten Schritt der GT werden die verschiedenen Persönlichkeitsaspekte, das Problem, das Ziel, die Ressourcen, negative und positive Glaubenssätze und anderes, wie auf einer inneren Bühne, am inneren Lagerfeuer, oder anlässlich einer hypnotischen Einladung, miteinander in Trance in Beziehung gesetzt. Der Therapeut hat die Aufgabe einer Gastgeberin, die zum Teil nicht ganz einfachen Gäste so zu begrüssen und ihnen den richtigen Platz anzubieten, sodass die sie ein differenziertes Ganzes in der GT bilden.

Die Aspekte zusammen führen

Das ganze Buch versprüht die Kreativität Gilligans, der behutsam und zutiefst wohlwollend all diese Aspekte zu benennen, würdigen und miteinander in Beziehung zubringen vermag bei gleichzeitig leichtfüssiger Entwicklung einer Trance. Schritt drei beinhaltet den Höhepunkt der Trance, wo die hohe Kunst gefordert ist, die verschiedenen Aspekte und Identitätsteile des Patienten auf einen verschmelzenden Höhepunkt hinzuführen. Durch diesen Prozess wird aus einem ursprünglichen Entweder-oder-Zustand, via ein befruchtendes sowohl-als- auch im Idealfall ein Darüberhinaus, etwas gänzlich Neues. Viel Wert legt Gilligan auf den abschließenden Schritt vier, quasi das "chill down" der Trance. In diesem Schritt geht es darum, die ertrancete Erfahrung, die Frucht der Trance nachhaltig ins Alltagsleben überzuführen, sodass sie sich mit der Zeit vollständig reif und wirksam werden kann. Dies beinhaltet u.a. obligat eine kleine Reise in die Zukunft, also eine Altersprogression, also eigentlich eher ein chill forward.

Generative Trance Schritte 1 bis 4
Die Kunst des Zentrierens

Kapitel 5 widmet sich ganz der Lebenskunst des Zentrierens. Zentral ist das Entwickeln eines Felt Sense für die Körper-Geist-Einheit, für eine körperliche Mitte. Es ist interessant und hilfreich, dass auch über einen negativen Felt Sense zentriert werden kann. Mein hier bevorzugter Zugang ist in letzter Zeit, die Patientin mit ihrem Problem direkt in Berührung zu bringen in dem Sinne, dass der Felt Sense für das Therapieproblem aktiviert werden soll, natürlich im Rahmen des Aushaltbaren und nicht überwältigend. "Und während Sie gerade jetzt über Ihr Problem, Ihr Ziel sprechen, gibt es da in Ihrem Körper ein Ort, eine Resonanz, ein Echo dazu, merkt Ihr Körper auch, über was Sie jetzt gerade jetzt sprechen?" "Aha, in der Magengrube. Prima, ich heiße diesen Ort, diese Präsenz in Ihnen herzlich willkommen... Sie machen es sehr gut."... "Übrigens, auf einer Skala zwischen 0 und 10 - 0 ist gar nichts und 10 ganz viel - wie Intensiv ist diese Präsenz für Sie in Ihrer Magengegend?" Dann wird in einer leichten Trance - "nehmen Sie doch einfach einen schönen, tiefen Atemzug und gleiten vom Denken zum Atmen und zum Spüren" - die Patientin gebeten, mit einem Teil ihres Geistes mit ihrem Druck dort in der Magengegend (die gefühlte Diagnose, die ganzheitliche Repräsentanz des Problems!) in Verbindung zu bleiben und sie ihr Unbewusstes bitten lassen, Erfahrungen, Erinnerungen und anderes als Ressourcen aus der Vergangenheit in die Gegenwart kommen zu lassen (nicht umgekehrt, um eine Regression zu vermeiden)....damit die Intensität Ihres Druckes im Magen ein klein wenig sinkt, aber nicht zu viel, vielleicht um eine 1 oder eine 2. Dies ist ein wunderbarer Einstieg in jegliche Arbeit mit dem Unbewussten in Form eines entschleunigten Dialogs im Hier & Jetzt zwischen Therapeut und Patientin. Dadurch kann fast immer gespiegelt werden, dass das Unbewusste offensichtlich bereits da ist, bereits daran ist, uns hilfreich beizustehen.

Das somatische Mixermodell

Speziell interessant in diesem Kapitel ist das "somatische "Mixermodell" als elegantes Beispiel für das ganze 4-Schritt-GT-Modell. Zusammen mit Zentriertheit ist ein kreativer Zustand charakterisiert durch eine Mischung aus einer entspannten, fokussierten, resonanten, offenen und geerdeten Aufmerksamkeit. Und so geht's: Zuerst wird im Vorbereitungsschritt eine resonante und prägnante Zielvorstellung, ein Zielsatz erarbeitet und es werden ein oder zwei zieldienliche Ressourcen gesucht. Resonant heisst, dass sowohl die Patientin als übrigens auch der Therapeut spüren, dass der Zielsatz passt. (Zitat Gilligan: "The felt sense makes the words magic.") Dann werden zwei oder drei dieser fünf Elemente einzeln nacheinander skaliert und versucht, in leichter Trance den Wert mit etwas Hilfe des Unbewussten ("with a little help from my friends") etwas anzuheben. Also: "Wie entspannt sind Sie?.... gerade jetzt auf einer Skala zwischen 0 und 10?.... Lassen Sie einfach eine Zahl dazu kommen, sie muss überhaupt nicht hoch sein.... Aha, eine 4, interessant!... Bitten Sie nun Ihr kreatives Unbewusstes, eine geeignete Erfahrung, ein Symbol, eine Erinnerung in Bezug auf Entspannung Ihnen ins Bewusstsein zu heben, welche es ermöglicht, diese 4 ganz leicht, ganz sanft - bitte nicht zu viel - ansteigen zu lassen." Wenn nichts geschehen sollte, macht nichts, gehen Sie als Therapeut zum nächsten Element. Wenn die Intensität von Entspannung leicht angestiegen ist, wenn unsere Filter zum Unbewussten also etwas aufgegangen sind, kann auf der Basis von Entspannung im Hinblick auf das Therapieziel weiter exploriert werden. Dann kommt ein nächster kurzer Trancezyklus z.B. mit "Offenheit" oder "Neugier" als Variante. Es geht also immer um kleine sinnliche Pacing-Schritte, welche einen hilfreichen Felt Sense aktivieren, an den sich ein wenig Leading - es soll was geschehen, aber nicht zu viel - anschliesst. Im nächsten GT-Schritt, der Integration, werden nun alle, im bisher Trance-Prozess spontan aufgetauchten oder bewusst benannten Elemente, vor allem das positiv formulierte Ziel, miteinander verwoben. Danach folgt das chill down.

Das generative Feld öffnen

In Kapitel 6 werden fünf verschiedene Methoden zum Öffnen des generativen Feldes geschildert und anhand von Beispielen nachvollziehbar gemacht. Eine dieser Methoden ist der sogenannte Energieball, welcher in dieser CH-Hypnose-Nummer etwas ausführlicher dargestellt wird. Es geht darum, wie wir unser Bewusstsein derart entfalten können, dass sich der Fokus vom Inhalt des Gewahrseins auf das Feld des reinen Gewahrseins ausdehnt. Für einen Fussballer bedeutet dies, seine Konzentration vom realen Ball und dem nächsten Spieler auf alle Spieler und das ganze Spielfeld auszudehnen. Unter geeigneten Bedingungen wird es dadurch möglich, mit einem Problem prozesshaft sein zu können, ohne daran anzuhaften oder davon überwältigt zu werden, also der klassische Ansatz von Achtsamkeit. Sodann geht es auch beim Feldbewusstsein, sich zusätzlich für das kreative Unbewusste respektive seinen Flow zu öffnen. Dabei ist der bewussten Teil unseres Geistes völlig entspannt und mit dem Therapieprozess als sinnliche Erfahrung in tiefer Resonanz, je nach dem mit offenen Augen. Auch ein Therapieprozess ist unter diesem Aspekt - so er denn gelingt - Kunst; es soll ja etwas Neues, Heilsameres in der Persönlichkeit der Patientin "geboren" werden. Für die LiebhaberInnen von Second Skins hat Gilligan in diesem Kapitel eine sehr spezielle Methode auf Lager, die "zweite Haut" ist ja ein Feld um uns herum.

Kreative Akzeptanz

Kapitel 7 behandelt - wie bereits erwähnt - das Prinzip der kreativen Akzeptanz. Es handelt sich nicht um passives Akzeptieren, das wäre der egozentrische basale Zustand von "Leben und sterben lassen". Es handelt sich bei diesem generativen Geisteszustand um aktive Neugier mit der Grundannahme, dass bei geduldiger tiefer Akzeptanz das Akzeptierte sich freiwillig wandeln kann. Erickson war ein Meister darin, Widerstand zu utilisieren und er war sechs Jahre lang der Lehrer von Gilligan.

Beziehungs-Mantras

Wiederum werden fünf verschiedene Methoden dargestellt. Hervorheben möchte ich die sogenannten "Beziehungs-Mantras". Es geht um wertschätzende Formulierungen seitens der Therapeutin beim Auftauchen von Problemen, unerwünschten Gefühlen und überhaupt Dingen, welche der Patient möglichst rasch loswerden oder übergehen möchte. Damit es sich bei diesen vier Beziehungs-Mantras nicht um leere, automatisierte Floskeln handelt, zentriert sich die Therapeutin zuerst, um dann aus ihrer Mitte heraus eine oder mehrere dieser Formulierungen verbal und emotional zu äußern, nicht selten repetitiv, bedeutungsschwanger, manchmal fast paradox. Die Idee ist, dem unerwünschten Muster des Patienten einen positiven, wohlwollenden, neugierigen Kontext anzubieten. Nach der Utilisationshypothese ist ein solches unerwünschtes Erfahrungsmuster nur an der Oberfläche negativ. In seiner archetypischen Tiefe hingegen schlummert eine pluripotente Energie, die darauf wartet, erkannt zu werden und durch den Kontakt mit einer freundlich gesinnten Präsenz an der Oberfläche ein positives Muster zu exprimieren. Utilisiert wird also nicht das negative Muster - manchmal ist dies ja auch destruktiv -, sondern die damit in Beziehung stehende Gesamtenergie. Die vier Mantras sind: "Das ist aber echt interessant!", "Ich bin sicher, das macht Sinn auf einer tieferen Ebene", "Da möchte etwas in Ihnen aufwachen, etwas in Ihnen möchte geheilt werden" und simpel und einfach "Willkommen!". Wenn das langsam, repetitiv und trancefördernd getan wird, können innerhalb von wenigen Minuten bemerkenswerte Veränderungen im psychischen Systems mit Langzeitwirkung erlebt werde. Besonders interessant ist, wenn an dieser Stelle zum Felt Sense des Problemmusters, zusätzlich zu seiner Intensität, auch ein Alter assoziiert wird, was schon wesentliche Aspekte einer Affektbrücke beinhaltet. Dieser Therapieprozess bedeutet die kreative Interaktion eines Bottom-up-Prozesses in Form des Felt Sense und eines Top- down-Prozesses in Form seiner bewussten Wertschätzung. "Und übrigens, lieber Patient, wie Intensiv ist gerade jetzt dieser Druck im Magen, ....so tief?!....also das ist ja echt interessant! Vielleicht können Sie sich in der nächsten Zeit doch selber ab und zu dieses Gefühl im Bauch mit Wohlwollen willkommen heißten...und ihm ein bisschen die Welt erklären, es ist ja offenbar noch so jung!"

Das Prinzip der Komplementarität

Im Kapitel 8 stellt Gilligan das "Prinzip der Komplementarität" dar. Meine Lieblingsmethode, um dieses Prinzip in Action zu erleben ist "gutes Selbst/böses Selbst". Nach entsprechender Erklärung der Prozesses, gemeinsamer mentaler Entschleunigung und guter somatischer Zentrierung wird im rituellen Wechselmonolog zwischen zwei Menschen folgendes gesprochen: "Ich möchte dass du siehst, dass ich X gut kann, ich möchte nicht, dass die siehst, dass ich auf Y überhaupt nicht stolz bin." Jetzt ist das Gegenüber an der Reihe, um kreative Akzeptanz zu übt. Es absorbiert das Ausgesprochene still in sein Zentrum und antwortet mit vom Zentrum kommenden Worten rituell: "Ich sehe, dass du stolz auf X bist, und ich sehe auch Y und ich sehe noch viel viel mehr". Diese Worte sind wirksam, wenn sie wirklich von Herzen kommen resp. im zentrierten Zustand gesprochen werden. Nun wechseln die Parts. Es können mehrere Zyklen durchgangen werden. Was anfänglich eher oberflächlich und vorsichtig beginnt, ist im Laufe der Zyklen oft tief berührend und wirksam. Nicht selten machen Workshop-Teilnehmer oder Patienten die Erfahrung, dass sie gerade für negative Aspekte ihres Seins zum ersten Mal einen wohlwollenden Zeugen haben, das ich etwas offenbaren und mich verletzlich zeigen kann, ohne dass da jemand "reinhaut". Das Feld, das die Gegensätze hält wird nicht nur durch die Präsenz des Zeugen geöffnet und gehalten, sondern auch durch dieses "...und noch viel, viel mehr!" Das Unbewusste öffnet in dieser "Übung" einen nicht-dualen Raum, wodurch wir Zugang zum kreativen Bewusstsein haben, also der dritten Welt der GT. Diese "Übung" ist für mich ein wunderbares Beispiel, warum wir Menschen ein DU brauchen, um unsere menschlichen Potentiale wirklich entfalten zu können. Und dazu sind nicht nur die ersten Lebensjahre da, jeder Moment kann, wenn mit kreativer Akzeptanz aufgeladen genutzt werden, um solches zu bewirken.

Das Tetralemma

Kapitel 9 handelt vom "Prinzip der unbeschränkten Möglichkeiten"; Eines der fünf Beispiele dazu ist das sogenannte Tetralemma. Es wird heute in vielen Disziplinien verwendet, wo es um Entscheidungsfindung geht und war schon vor langer Zeit in Indien bekannt. Die ganze Trance-Übung wird von außen angeleitet, so dass der Klient wach beobachten und spüren kann. Im zentrierten Zustand in der Mitte eines imaginären Kreuzes stehend, eventuell mit offenen Augen, wird ein erster Schritt nach rechts getan, um sich mit einer ersten Wahrheit zu verbinden, zum Beispiel "Abhängigkeit". Im zentrierten Zustand kann sich ein kreatives Spannungsverhältnis zu dieser Erfahrung aufbauen. Wie viele Arten von Abhängigkeit habe ich erlebt? Dann Schritt zurück in die Mitte, loslassen der Erfahrung, zentrieren, Schritt nach links und Einschwingen in die Erfahrung "Unabhängigkeit". Nun wieder ein Schritt in die Mitte, loslassen. Jetzt folgt ein Schritt nach vorn. Mit leicht ausgebreiteten Armen geht es nun darum, beide Wahrheiten wahrzunehmen, also "Abhängigkeit" und "Unabhängigkeit" als zwei gleichwertige Erfahrungen meines Seins gleichzeitig zulassen. Nicht selten ergibt sich ein leichtes Hin- und Herschwanken, ein sanftes Pendeln des Körpers durch diese beiden Erfahrungen hindurch. Loslassen. Nach Durchqueren der Mitte jetzt ein Schritt rückwärts. In dieser zweitletzten Position gilt es, sich einem Gewahrsein öffnen, der charakterisiert durch "weder Abhängigkeit noch Unabhängigkeit"; das ist übrigens ziemlich viel. Wir versuchen - wir experimentieren ja - einen Geisteszustand zu erlangen, der auch das Ziel buddhistischer Koans ist. Nun der letzte Schritt wieder in die Mitte, wo der anspruchsvolle alchimistische Schritt drei der GT erfolgen soll, also das Integrieren und Verweben sämtlicher vier Erfahrungen, des Entweders, des Oders, des Sowohl-als-Auch und des Weder-Noch und natürlich noch viel viel mehr zu etwas völlig Neuem. Obwohl ich selber bei Schritt drei noch nicht so wirkungsvoll bin, erzählen mir Patienten nicht selten, dass sie noch vor dem Transformationsschritt, nicht selten in der Entweder-Oder-Position, eine tiefe Erkenntnis haben in dem Sinne, dass gerade das "negative" Muster, ja sehr viel positive Aspekte hat.

Für Wirkungen und Nebenwirkungen dieser Buchbesprechung fragen Sie Bewusstsein und Ihr Unbewusstes, oder lesen Sie doch einfach das Buch von A bis Z.

Heini Frick, 04. August 2013, CH-HYPNOSE, VOL. XXIII, NO 2/2013